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Information zum «off-label» und «unlicensed use» sind unverzichtbar

Welche elektronischen Arzneimitteldatenbanken mit pädiatrischen Dosierungen werden von Schweizer Medizinalpersonen konsultiert?

DOI: https://doi.org/10.4414/smi.33.00392
Publication Date: 20.09.2017
2017;33(00):00392

Hiltbrunner Sabina, Glanzmann Corina, Vonbach Priska

Please find the affiliations for this article in the PDF.

Summary

Background: Determining the correct drug dosage for children is difficult. Drugs are frequently used “off-label” or “unlicensed”, and dosage recommendations in the summary of product characteristics (SPC) are rarely available. The aim of our survey was to analyse the behaviour of Swiss healthcare professionals regarding their use of electronic drug databases by focusing on databases for paediatric dosages.

Methods/results: An online survey was sent to Swiss paediatricians (N = 1806) and pharmacists (N = 2073). The rate of return was 23% (N = 882).

Over 70% of all participants use electronic drug databases at least once a week, whereas 36% use them daily. Only 6% never use electronic drug databases.

The utilization of different information systems was analysed. Professionals tend to use websites and the guidelines of their respective institution. Such guidelines are crucial for paediatricians, and 57% use them at least once a week. However, only 13% of Swiss healthcare professionals use mobile apps at least once a week to look up paediatric dosages, and 65% never use mobile apps.

The most important database for paediatric dosages was www.compendium.ch followed by the website of the University Children’s Hospital (www.kinderdosierungen.ch).

Conclusion: Our results show that electronic information about paediatric dosages is frequently used by paediatricians and pharmacists, and is crucial for their daily work. The most important sources for paediatric dosages are the SPC and www.kinderdosierungen.ch. Especially in the case of “off-label” or “unlicensed use”, this website is an important tool for Swiss healthcare professionals.

Einführung

Viele Arzneimittel sind für Kinder oder Jugendliche nicht zugelassen, weil bisher aus ethischen und ökonomischen Gründen keine klinischen Studien in den entsprechenden Altersgruppen durchgeführt worden sind. Dennoch werden im Alltag zwangsläufig Arzneimittel bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt, weil keine Alternativen vorhanden sind. Man bezeichnet solche Therapien als sogenannten «off-label»- oder «unlicensed use». Untersuchungen von Di Paolo et al. haben gezeigt, dass in einem Schweizer Universitäts-Kinderspital 50% der Verordnungen im «off-label» oder «unlicensed» Bereich erfolgen [1]. In solchen Fällen fehlen Dosierungen in der Fachinformation unter anderem gänzlich oder gelten nur für einzelne Indikationen oder Altersgruppen. Medizinalpersonen müssen folglich die korrekte Dosierung in verschiedensten Datenbanken nachschlagen.

Über Computer, Tablets und Smartphones, die allgegenwärtig und auch in den Kinderarztpraxen, Apotheken und in den Spitälern nicht mehr wegzudenken sind, haben Medizinalpersonen leichten Zugang zu medizinischer Literatur. Eine Untersuchung aus England zum Gebrauch von Smartphones bei Assistenzärzten und Medizinstudenten hat gezeigt, dass Apps sehr selektiv eingesetzt werden. Am häufigsten werden Apps zu Dosierungen von Medikamenten oder Apps zu Diagnosezwecken verwendet [2].

Anhand einer Umfrage bei Schweizer Pädiatern und Apothekern haben wir untersucht, über welche Endgeräte elektronische Arzneimitteldatenbanken abgerufen werden und in welchen elektronischen Datenbanken sie Dosierungen für Arzneimitteltherapien bei Kindern nachschlagen.

Methodik

Die Online-Umfrage wurde in Deutsch und Französisch via e-Mail über die verschiedenen Berufsorganisationen (Schweizerische Gesellschaft für Pädiatrie [SGP], pharmaSuisse und Schweizerischer Verein der Amts- und Spitalapotheker [GSASA]) an Apotheker (N = 2073) und Pädiater (N = 1806) versendet. Die Umfrage beinhaltete drei Hauptfragen gemäss Tabelle 1.

Tabelle 1: Drei Hauptfragen und Antwortauswahl der Online-Umfrage:
Hauptfragen
1) Wie oft benutzen Sie elektronische Arzneimitteldatenbanken durchschnittlich?
nie
≤3× jährlich
1–3× monatlich
1–5× wöchentlich
≥1× täglich
2) Welche elektronischen Medien verwenden Sie, um Kinderdosierungen nachzuschlagen? (inkl. Häufigkeit)
Websites (Nutzung auf dem PC)
Websites (Nutzung auf dem Tablet, Smartphone)
E-Books
Elektronische Fachzeitschriften
Elektronische Guidelines der eigenen Institution
Datenbank im elektronischen Klinikinformationssystem
Apps
3) Welche elektronischen Datenbanken konsultieren Sie, um Kinderdosierungen nachzuschlagen? (inkl. Häufigkeit)
adhb.govt.nz (Auckland Clinical Drug Guidelines/Protocols)+
British National Formulary for Children+
compendium.ch+*
Dose Calc*
DrugDoses, Frank Shann+*
Epocrates+*
kinderdosierungen.ch/posologies-pédiatriques.ch+
MedCalc*
Medscape.com+*
Micromedex/DrugDex+*
Nelson’s Pediatric Antimicrobial Therapy*
Neofax, Thomas E. Young+*
pediadol.org+
Pediatric & Neonatal Lexi-Drug, uptodate.com, lexi.com, Carol K. Taketomo+*
pharmavista.net/.ch+
RedBook+*
rote-liste.de+*
swissmedicinfo.ch+
The 5-minute pediatric consult*
vidal.fr+*
«weitere» (Freitexteingabe ergänzend zu den erwähnten Arzneimitteldatenbanken)
* mobile App; + Website

Resultate

Die Umfrage wurde von 882 Personen beantwortet mit einer Rücklaufquote von 23% (882/3879), wovon 509 Apotheker (58%), 360 Pädiater (41%) und 11 andere (Naturwissenschaftler oder Studenten, 1%) waren. 627 Personen (71%) antworteten in Deutsch, 255 (29%) in Französisch.

Nutzung elektronischer Arzneimitteldatenbanken

36% aller Umfrageteilnehmer gaben an, elektronische Arzneimitteldatenbanken täglich zu verwenden, 6% nutzen solche Angebote nie (Abb. 1).

Die Häufigkeit der Nutzung elektronischer Arzneimitteldatenbanken wurde zudem nach Arbeitsort und Berufserfahrung analysiert. 53% aller Spitalapotheker und 26% der Kinderärzte in Praxen nutzen elektronische Arzneimitteldatenbanken mindestens einmal wöchentlich. 13% der praktizierenden Kinderärzte und 6% der Offizinapotheker nutzen hingegen keine elektronischen Arzneimitteldatenbanken in ihrem Alltag. Mit steigender Berufserfahrung nimmt der Gebrauch von elektronischen Datenbanken ab. Mehr als die Hälfte der Teilnehmer mit 1–5 Jahren Erfahrung verwenden sie mindestens einmal täglich. Von den Teilnehmern mit mindestens 10-jähriger Erfahrung konsultiert nur noch rund ein Drittel elektronische Arzneimitteldatenbanken täglich (Tab. 2).

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Abbildung 1: Häufigkeit der Nutzung von elektronischen Arzneimitteldatenbanken aller Berufsgruppen.

Tabelle 2: Häufigkeit der Nutzung elektronischer Arzneimitteldatenbanken nach Arbeitsort und nach Berufserfahrung.
ArbeitsortKinderarztpraxisN = 143Pädiatrische Station / KlinikN = 162OffizinapothekeN = 376SpitalapothekeN = 88
nie13% (19)0% (0)6% (24)1% (1)
≤ 3× jährlich9% (13)1% (1)8% (31)6% (5)
1–3× monatlich19% (27)17% (27)15% (55)18% (16)
1–5× pro Woche33% (47)46% (74)34% (127)22% (19)
≥1× täglich26% (37)37% (60)37% (139)53% (47)
Berufserfahrung1–5 JahreN = 1316–10 JahreN = 14410–20 JahreN = 240>20 JahreN = 359
nie1% (1)4% (6)8% (19)8% (30)
≤3× jährlich4% (5)5% (7)4% (10)9% (32)
1–3× monatlich11% (14)16% (23)16% (38)18% (65)
1–5× pro Woche31% (40)35% (50)40% (96)34% (122)
≥1× täglich54% (71)40% (58)32% (77)31% (110)

Verwendung von verschiedenen elektronischen Medien

Um pädiatrische Dosierungen nachzuschlagen, werden elektronische Arzneimitteldatenbanken zum grössten Teil über Websites auf dem Computer (57%, 471), seltener auf Tablets oder Smartphones (18%, 146) aufgerufen. 26% (211) der Befragten nutzen mindestens einmal wöchentlich die elektronischen Guidelines der eigenen Institution und nur 14% (113) brauchen dazu Apps. 65% der Umfrageteilnehmer verwenden Apps zum Nachschlagen von pädiatrischen Dosierungen nie (Abb. 2).

Nutzung der verschiedenen pädiatrischen Arzneimitteldatenbanken

Die Umfrageteilnehmer gaben an, mindestens einmal wöchentlich die Websites www.compendium.ch (56%, 491), www.kinderdosierungen.ch (19%, 168), www.pharmavista.ch (16%, 142) und www.swissmedicinfo.ch (12%, 109) zu verwenden. Die Nutzung der wichtigsten elektronischen Arzneimitteldatenbanken, nach Arbeitsort gegliedert, ist in Abbildung 3 dargestellt.

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Abbildung 2: Häufigkeit der Nutzung verschiedener Medien durch alle Umfrageteilnehmer, um pädiatrische Dosierungen nachzuschlagen.

Diskussion und Schlussfolgerung

In der Schweiz muss sich jedes Institut, jeder Arzt und jede öffentliche Apotheke die Information zur jeweiligen Dosierung bei Kindern individuell aus den verschiedenen elektronischen Arzneimitteldatenbanken einholen, insbesondere dann, wenn die Anwendung des Arzneimittels im «off-label»-Bereich erfolgt. Diese Umfrage zeigt, wie häufig elektronische Arzneimitteldatenbanken überhaupt genutzt werden und welche elektronischen Arzneimitteldatenbanken mit pädiatrischen Dosierungen von Schweizer Medizinalpersonen verwendet werden. Zudem wurde erhoben, über welche Endgeräte die Nutzer pädiatrische Dosierungsinformationen abfragen.

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Abbildung 3: Mindestens einmal wöchentlich verwendete elektronische Datenbanken mit pädiatrischen Dosierungen in der Kinderarztpraxis, auf pädiatrischen Stationen, der Spitalapotheke und in der Offizinapotheke.

71% aller Umfrageteilnehmer nutzen elektronische Arzneimitteldatenbanken mindestens einmal wöchentlich und nur 12% aller Teilnehmer nutzen sie weniger als dreimal jährlich. Gerade im Spitalumfeld, speziell in der Spitalapotheke und auf pädiatrischen Stationen, werden elektronische Arzneimitteldatenbanken häufig verwendet. Vergleichsweise selten werden sie in der Kinderarztpraxis genutzt. Fast ein Viertel der praktizierenden Kinderärzte nutzt elektronische Arzneimitteldatenbanken weniger als dreimal jährlich. Mögliche Gründe könnten weniger komplexe Fälle gegenüber dem stationären Bereich und/oder langjährige Erfahrung mit den eingesetzten Arzneimitteln sein. Es zeigt sich zudem, dass mit weniger Berufserfahrung Datenbanken häufiger verwendet werden und mit steigender Berufserfahrung tendenziell weniger.

Websites auf dem Computer oder Tablets werden am häufigsten genutzt, um elektronische Arzneimitteldatenbanken abzurufen. Daneben sind die elektronischen Guidelines der eigenen Institution sehr wichtig. Sie werden von allen Berufsgruppen verwendet, besonders auf pädiatrischen Stationen oder in Kinderkliniken. Erstaunlich ist die untergeordnete Rolle der Apps. In unserer Umfrage werden Apps von 14% aller Teilnehmer einmal wöchentlich genutzt. Umfrageteilnehmer mit 1–5 Jahren Erfahrung nutzen Apps nicht häufiger. Dieses Resultat steht im Widerspruch zur den Studien von Payne et al. [2] bzw. O’Connor et al. [3]. Bei Assistenzärzten im Vereinigten Königreich und Irland wurde eine wesentlich höhere Nutzung von medizinischen Apps beschrieben. So verwendete die Hälfte der irischen Assistenzärzte gemäss Umfrage von O’Connor mindestens einmal täglich eine medizinische App, nur 28% nutzten Apps nie [3]. Diese Zahl ist vergleichbar mit den Ergebnissen von Payne et al, wonach ebenfalls lediglich 28% aller befragten Assistenzärzte keine Apps verwenden. [2]. In unserer Umfrage nutzten 65% aller Teilnehmer medizinische Apps in ihrem Alltag nie.

Die am häufigsten konsultierten Datenbanken wie www.compendium.ch, www.swissmedicinfo.ch oder www.pharmavista.ch bieten die Fachinformation der Arzneimittel an. Die Fachinformation ist eine wichtige Quelle, um Dosierungen für Kinder nachzuschlagen. Enthält die Fachinformation aber keine Angaben zur entsprechenden Altersgruppe, wie dies bei «off-label» oder «unlicensed use» der Fall ist, werden andere Datenbanken wie www.kinderdosierungen.ch / www.posologies-pédiatriques.ch oder «Drug Doses» (Frank Shann) konsultiert. Vor allem Medizinalpersonen auf den pädiatrischen Stationen nutzen diese Datenbanken viel häufiger als jene in Kinderarztpraxen oder in öffentlichen Apotheken. Zudem ist ersichtlich, dass Spitalapotheker im Gegensatz zu anderen Berufsgruppen ein breites Spektrum an Datenbanken konsultieren.

Aufgrund mehrerer Kommentare der Umfrageteilnehmer muss von einem allfälligen Bias ausgegangen werden. Die Dosierungen unter www.kinderdosierungen.ch können über das unter www.compendium.ch angezeigte Produkt über einen direkten Weblink oder aber auch über die Hauptseite des Kinderspitals Zürich aufgerufen werden. Scheinbar war nicht allen Umfrageteilnehmern klar, dass es sich hierbei um die Website www.kinderdosierungen.ch handelte.

Die Resultate der Umfrage zeigen, dass in der Pädiatrie neben der offiziellen Fachinformation elektronische Arzneimitteldatenbanken zum «off-label» und «unlicensed use» unverzichtbar sind. Das Angebot des Universitäts-Kinderspital Zürich, www.kinderdosierungen.ch / www.posologies-pédiatriques.ch, ist die in der ganzen Schweiz nebst der offiziellen Fachinformation am häufigsten genutzte Informationsquelle, wenn es um pädiatrische Dosierungen geht.

Disclosure statement

www.kinderdosierungen.ch, www.pediatric-dosages.ch and www.posologies-pediatriques.ch are run by the University Children’s Hospital Zurich in cooperation with HCI Solutions AG.

Correspondence

Korrespondenz:

Sabina Hiltbrunner

Pharmazeutischer Dienst

Universitäts-Kinderspital Zürich

Steinwiesstrasse 75

CH-8032 Zürich

sabina.hiltbrunner[at]kispi.uzh.ch

Literatur

1 Di Paolo E, Stoetter H, Cotting J. Unlicensed and off-label drug use in a Swiss paediatric university hospital. Swiss Med Wkly. 2006;136:218–22.

2 Payne KFB, Wharrad H, Watts K. Smartphone and medical related App use among medical students and junior doctors in the United Kingdom (UK): a regional survey. BMC Medical Informatics & Decision Making. 2012;12:121.

3 O’Connor P, Byrne D, Butt M, et al. Interns and their smartphones: use for clinical practice. Postgrad Med J. 2014;90(1060):75–9.

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