Congress contribution

Biomedizinische Informatik: Erfahrungen mit der Umsetzung eines anwendungsorientierten Bachelor-Studiengangs

DOI: https://doi.org/10.4414/smi.30.00305
Publication Date: 15.10.2014

Brodbeck Dominique, Degen Markus, Pude Frank

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Ausgangslage

Im Jahr 2006 organisierte sich die Fachhochschullandschaft in der Nordwestschweiz neu. Die bestehenden Fachhochschulen in den Kantonen Aargau, Solothurn, Basel-Stadt und Basel-Land wurden zu einer «Fachhochschule Nordwestschweiz» (FHNW) zusammengefasst und die Studiengänge an einzelnen Standorten konzentriert. Im Zuge dieser Neuorganisation wurde eine neue «Hochschule für Life Sciences» am Standort Muttenz etabliert. Der Standort in der Nähe von Basel war hierfür prädestiniert, da die ansässige Wirtschaft und Industrie sowie das Universitätsspital ein ideales Umfeld für eine derartige Hochschule bilden. In der neuen Hochschule wurden zwei neue Bachelor-Studiengänge aufgebaut und umgesetzt. Einer der beiden Studiengänge, «Life Science Technologies» (LST), bietet Informatik mit Fokus auf Anwendungen im Life-Science-Umfeld (Gesundheitswesen, Klinik, Medizintechnik, Pharma) in zwei Vertiefungen an: «Biomedizinische Informatik» (BI) und «Medizinaltechnologie» (MT). Die Vorlesungen in diesen Vertiefungsrichtungen werden vorwiegend von Dozierenden aus dem Institut für Medizinal- und Analysetechnologie gehalten. Einige Vorlesungen (z.B. Medizinische Bildverarbeitung) werden für beide Vertiefungsrichtungen gemeinsam abgehalten. Die Ausrichtung und Inhalte dieses Studiengangs wurden gemeinsam mit Vertretern aus Wirtschaft und Industrie definiert. Dabei zeigte sich unter anderem der Bedarf an einer anwendungsorientierten Ausbildung im Bereich Medizininformatik deutlich. Die Studiengänge sind vom Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement akkreditiert.

Herausforderungen

Der LST-Studiengang soll für eine möglichst breite Auswahl von zubringenden Ausbildungen offen sein. Dies führt dazu, dass die Vorbildung der Studierenden sehr heterogen ist. So ist es z.B. durchaus möglich, dass Eintretende im ersten Studiensemester zum ersten Mal mit Informatik konfrontiert werden und dann in «biomedizinischer Informatik» vertiefen und abschliessen. Der Anteil der Studierenden mit Berufsmaturität beträgt 75% (Rest: allgemeine Maturität, Aufnahmeprüfung usw.). Die grosse Herausforderung besteht darin, keine «Schnellbleiche», sondern durch sorgfältig ausgewählte und genau abgestimmte Inhalte eine abgerundete und berufsbefähigende Ausbildung anzubieten. Bei der Auswahl der Inhalte ist deshalb die Abwägung von «Techniken» vs. «Technologien» und «Breite» vs. «Tiefe» besonders massgebend, denn selbstverständlich steht durch die breite wissenschaftlich-technische Grundausbildung für die Informatikinhalte weniger Zeit zur Verfügung als bei einem reinen Informatikstudiengang.

Eine andere Herausforderung ist die Akquisition von Studierenden für die BI-Vertiefung, da (noch) nicht allgemein bekannt ist, dass sich hinter «Life Sciences» auch viel Informatik verbirgt. Dies zeigt sich in der noch eher kleinen Zahl an Absolventinnen und Absolventen in den letzten Jahren.

Umsetzung

Das Ziel war es, einen Ingenieurstudiengang mit starkem naturwissenschaftlichem Hintergrund umzusetzen. Im ersten Studienjahr besuchen die Studierenden aller Vertiefungsrichtungen dieselben Vorlesungen (Pflichtmodule). Daher stehen eine breite Einführung in die Informatik inklusive der Anwendungen in den Life Sciences und das Erlernen einer Programmiersprache im Vordergrund. Im zweiten Studienjahr beginnt die Spezialisierung, u.a. mit der Festigung der Programmierfertigkeiten. Im letzten Studienjahr, also der Vertiefung, bestehen praktisch sämtliche Vorlesungen aus Informatikinhalten. Neben weiteren Informatikgrundlagen (z.B. Software Engineering) wurde hier eine Beschränkung auf einige auf die Anwendungsausrichtung fokussierte Themen wie z.B. Medizinische Bildverarbeitung, Spitalinformationssysteme, Datenanalyse und regulierte Softwareentwicklung vorgenommen. Um die Anwendungsausrichtung zu stärken, wurde im letzten Semester ein spezielles Unterrichtsgefäss geschaffen, in dem vorlesungsübergreifend und projektbasiert unterrichtet wird. Die Studierendengruppen erhalten den Auftrag, ein komplexes Client-Server-System mit anspruchsvollem grafischem Benutzerinterface im Spitalumfeld zu entwickeln. Die Entwicklung erfolgt dabei nach modernen agilen Methoden. Dieser projektbasierte Unterricht bringt sehr gute Lernerfolge und wird auch von den Studierenden als «Highlight» der Ausbildung geschätzt.

Erfahrungen

In den Jahren 2009 bis 2013 wurden in der Vertiefungsrichtung «Biomedizinische Informatik» pro Jahr durchschnittlich ca. 5 Studierende und in der Vertiefungsrichtung «Medizintechnologie» durchschnittlich ca. 17 Studierende ausgebildet. Es zeigt sich, dass es nach wie vor schwierig ist, junge Leute für ein Life-Science-Studium mit Informatik-Vertiefung zu begeistern. Erfreulicherweise sind jedoch die Anmeldezahlen für das Herbstsemester 2014 deutlich gestiegen. Dies ist unter anderem auf das veränderte Kommunikationskonzept zurückzuführen, bei dem die Vertiefungsrichtungen direkt beworben werden und nicht allein der gesamte «Life Science Technologies»-Studiengang.

Die Absolventinnen und Absolventen der BI-Vertiefungsrichtung sind in der Wirtschaft sehr gesucht und finden leicht eine Anstellung. Die Tätigkeiten der Absolventinnen und Absolventen teilen sich wie folgt auf:

‒Softwareentwicklung im Spital- oder Medizinbereich (ca. 1/3);

‒weiterführendes Masterstudium (z.B. MSc in Life Sciences [FHNW], MSc in Biomedical Engineering [UniBE/BFH], weiterführende Informatik-Master-Studiengänge wie der MSc in Engineering [FHNW] oder der MSc in Computational Biology and Bioinformatics [ETHZ]) (ca. 1/3);

‒Betrieb von IT im Spitalumfeld (ca. 1/6).

Die restlichen 1/6 sind in einem anderen Bereich tätig (z.B. Management) oder haben das Studium abgebrochen.

Massgeblich zur Praxisorientierung des Studiengangs und damit dem leichten Einstieg in die Industrie nach dem Studium trägt bei, dass bisher weit über die Hälfte der Bachelorarbeiten direkt mit der Industrie durchgeführt wurden – ab 2015 sollen sogar möglichst sämtliche bearbeiteten Themen aus der Industrie stammen.

Correspondence

Correspondence:

Prof. Dr. Dominique Brodbeck

Fachhochschule Nordwestschweiz

Hochschule für Life Sciences

Gründenstrasse 40

CH-4132 Muttenz

dominique.brodbeck[at]fhnw.ch

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